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Zur Funktion der Lehranalyse in der psychoanalytischen Ausbildung (Eitington-Modell)

Peter Wegner

(Vortrag auf der DPV Tagung, 2014, in Bad Homburg, zum Forum: „Die Zukunft der psychoanalytischen Ausbildung“)

Die aktuellen Kontroversen um die Lehranalyse scheinen verursacht durch unterschiedliche Vorstellungen darüber wie unsere Ausbildung besser an die  sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen unserer Zeit anzupassen ist.  Der Wunsch ist die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der Psychoanalyse im Kontext unseres Gesundheitssystems und die Rückkehr an den universitären Betrieb. Die eher pragmatisch ausgerichteten Änderungsvorschläge lassen meiner Ansicht nach eine inhaltliche Verständigung darüber vermissen, welche Funktion die Lehranalyse überhaupt hat oder haben sollte.  Ich möchte mich daher der Fragestellung aus einer persönlichen und klinischen Perspektive nähern. Aus Zeitgründen werde ich meine Überlegungen nur thesenartig vortragen und auf Verweise verzichten.

Bedenke ich meine Erfahrungen als Lehranalysand und als Lehranalytiker ist der Selbsterfahrungsprozess angereichert durch klinisches Material aus Behandlungen und durch vielfältige Konflikte mit der Ausbildung. Das Verstehen potentieller Patienten und die Verknüpfung mit der persönlichen Geschichte des Lehranalysanden stehen immer wieder im Vordergrund. Der methodisch angemessene Umgang mit diesem Material stellt eine spezifische Herausforderung in der Lehranalyse dar und ist gleichzeitig Bestandteil der Übertragungs- und Gegenübertragungsanalyse. Damit verbundene unbewusste Konflikte oder Verzerrungen können nur eingeschränkt  in theoretischen Seminaren oder Supervisionen bearbeitet werden, weil dort die notwendig zu reflektierenden subjektiven Bedeutungs- und Konfliktebenen nicht einholbar sind. Lehranalysen beinhalten insofern einen komplexen und vielschichtigen Prozess der wechselseitigen Anreicherung von subjektiven Erfahrungen, Einsichten und Wissen. Auf diesem Weg werden erstensKonstruktionen, die häufig aus der «Zwei-Personen-Psychologie» stammen, zwischen Lehranalysand und Patient und zwischen Lehranalysand und Lehranalytiker thematisiert, bedacht, hinterfragt und wenn alles gut geht verstanden. Man könnte von einem zweiphasigen Deutungsprozess sprechen. Zweitens werden die kreativen Entdeckungen des jeweiligen Lehranalysanden verifiziert, die ihm im psychoanalytischen Prozess ermöglichen, etwas über sich selbst zu erkennen, was bisher vorbewusst blieb und noch nicht in Sprache transformiert werden konnte. So entsteht ein Netzwerk von Konstruktionen, welches durch das Literaturstudium, in theoretischen Seminaren oder in der Supervisionsarbeit systematischer strukturiert werden kann.

Ich denke z. B. an die Bedeutung des «Settings», der «subjektiven Indikation», an die «Grundregel», die Entdeckung der «freien Assoziation», das «Zuhören», den Unterschied von Interpretation und Haltung, die Transformation theoretischer Konzepte in Behandlungstechnik, den «Initialtraum» und die Traumanalyse, das «Timing» und die Macht von Deutungen, die «Anfangsszene» und das «Nein» bei der Trennung, Agieren und Gegenagieren, Schlafen in der Stunde, Zuspätkommen und Verweigerung der Bezahlung, «Abstinenz» und «Diskretion», den Umgang mit Schweigen und Sprechfluten, Liebe, Hass und andere unaushaltbare Gefühle,  Wiederholungszwang, Charakterwiderstände, das Erkennen und Aushalten von Nicht-Wissen, das Anerkennen eines «Incommunicado core», das Erlangen der Fähigkeit  «Alleine zu sein in der Gegenwart eines Anderen», das selbstreflexive Umgehen mit  helfen wollen und/oder helfen müssen, die Bedeutung der Fähigkeit zur Einnahme einer «exzentrischen Position», einer «different order of possibility» und das «cracking up» als spezifische Formen  psychoanalytischer Behandlungstechnik  sowie das Protokollieren in oder nach der Sitzung.         

Außerdem all die Missverständnisse im Umgang mit Übertragung, Gegenübertragung und selbstanalytischer Haltung, die «vorauseilende Gegenübertragung», die «gleichschwebende Introspektionsbereitschaft», die Risiken der «halluzinierten Gegenübertragung»,  projektive Identifizierungen, extraktive Introjektionen, die Differenzierung von Realität und Fantasie im gesamten Prozess, unter der Bedingung zweifacher triangulärer Bezüge, den narzisstischen Missbrauch, Kolonialisierungstendenzen, paranoide Verzerrungen, Idealisierung bis hin zum transparent Werden der Position des Lehranalytikers im Gefüge des Institutes.

Schließlich das Erkennen unbewusster Mikroprozesse wie  «Prozessidentifizierung», «Synchronisierung», «rekombinierende pathologische Selbstorganisation», die «Selbstwirksamkeit», «Performance», die «Angst des Psychoanalytikers vor der psychoanalytischen Methode»  und die vielfältige Bedeutung des Körperlichen, «driving soma».

Die genannten Elemente lassen sich natürlich ergänzen, differenzieren und klinisch belegen. Zusammen erfassen sie, einschließlich der ganz normalen Deutungs- und Übersetzungsarbeit, einen Prozess, der dem Lehranalysanden die Möglichkeit eröffnet, eine ihm gemäße, also passende,  «psychoanalytische Position» zu entwickeln. Diese Position schließt ein lebenslanges psychoanalytisches Lernen und sich Verändern ein. Wird dieser Prozess von einer vertrauensvollen Beziehungsarbeit begleitet, die unzerstört von negativen therapeutischen Reaktionen, Entwertung, Neid und Destruktivität überlebt, kann sich ein inneres «psychoanalytisches Objekt» entwickeln, welches nicht allein durch «Rekonstruktion» entsteht, sondern durch die «Konstruktion» einer kreativen Verarbeitung von Erfahrungen aus der funktionierenden psychoanalytischen Beziehung.

Es wird deutlich, dass unsere Annahme nicht stimmen kann, die Lehranalyse sei dem Prinzip nach nichts anderes als eine «persönliche Analyse», also eine «Heilanalyse». Es gibt aber eine lange Tradition an dieser Vorstellung festzuhalten, vielleicht um versichert zu sein, dass die Lehranalyse als ein ideales Modell für zukünftige Psychoanalysen mit Patienten aufgefasst werden kann.

Ich befürchte wir müssen diese Vorstellung aufgeben, weil sich Lehranalyse und Heilanalyse in vielerlei Hinsicht unterscheiden und nur eingeschränkt miteinander vergleichbar sind. Das betrifft die Motivation des Analysanden und des Analytikers, das betrifft zentrale Fragen der Frequenz, der Dauer und der generellen  Ziele des gesamten psychoanalytischen Prozesses. Ein weiterer zentraler Unterschied besteht in der Eingebundenheit des psychoanalytischen Prozesses in die Ausbildungsstrukturen und die Verantwortung von Analysand und Analytiker für Dritte, nämlich aktuelle und zukünftige Patientinnen und Patienten, die vom Analysanden behandelt werden.  

Außerdem unterscheiden sich Beginn und Beendigung in Heilanalyse und Lehranalyse kategorial. In der Heilanalyse gibt es eine patientenzentrierte Indikationsstellung, während das Setting der Lehranalyse eine Bedingung der Ausbildung darstellt. Nach dem Ende der Heilanalyse kommt es nur in den seltensten Fällen zu einem persönlichen Kontakt, während mit dem Ende der Lehranalyse eine lang andauernde kollegiale Zusammenarbeit und ein gegenseitiges Beteiligt Sein am Arbeiten, Leben und Sterben beginnen kann.  

Ein weiterer Unterschied ist die generell anzunehmende Schwierigkeit sich über Lehranalysen auszutauschen. Aus Diskretionsgründen ist dies nur außerhalb des Institutes bzw. außerhalb der Vereinigung denkbar. Das gilt auch für Verwicklungen oder Konflikte mit Personen in Ausbildungszusammenhängen, mit denen das analytische Paar häufig alleine bleibt.

Ein weiterer Faktor ist der Umgang mit den Besonderheiten der psychoanalytisch-psychotherapeutischen Praxis in unserem Gesundheitssystem. Die Widersprüche zwischen den Inhalten und Zielen der psychoanalytischen Ausbildung einerseits und der existenzsichernden Psychotherapie-Richtlinie andererseits, sind mittlerweile so groß geworden, dass sie im Besonderen von Ausbildungskandidaten zeitweilig als schier unauflösbar erlebt werden. Die spezifischen «Sprachregelungen» die wir dafür über die Jahrzehnte entwickelt haben und unser Taktieren zwischen den Fronten, kann man mit Einschränkungen nur «verrückt» nennen, lösen sie doch die Gegensätze und Widersprüche nicht mehr auf, sondern verlangen entweder Anpassung und Unterwerfung oder nutzlosen Widerstand.      

Die besondere Aufgabe in der Lehranalyse, nämlich die gemeinsame Verantwortung von Analysand und Lehranalytiker für einen Dritten – einen Patienten – der im Erstinterview, in Psychotherapie oder Psychoanalyse mit einem Analytiker in Ausbildung zu tun hat, erfordert häufig ein zweiphasiges Vorgehen der Deutungstechnik und lässt die Übertragungs- und Gegenübertragungsverwicklungen komplexer und schwerer lesbar erscheinen. Diese generelle strukturelle Besonderheit der Lehranalyse hat bisher aber keinen generellen behandlungstechnischen Konsens gefunden. Vielmehr muss der einzelne Lehranalytiker sich dieser Herausforderung stellen und selber technische Antworten erfinden. Klinisch eröffnen sich hier viele Fragen, die offiziell aber gar nicht gestellt wurden, weil wir vermeintlich mit dem Konstrukt, die Lehranalyse sei schlicht eine persönliche Analyse, notwendige behandlungstechnische Antworten vermieden haben.

Trotz der genannten Probleme scheinen bisherige Lehranalysen, bei einem benignen bzw. «genügend guten» Verlauf, die Entwicklung einer Beziehungserfahrung zu ermöglichen, die in einzigartiger Weise zur Bildung einer «psychoanalytischen Position» und eines «inneren psychoanalytischen Objektes»  führen, gebildet durch den Zuwachs von Wissen über unbewusste Motive und Verwicklungen, dem  «Lernen am Modell» und dem Wunsch nach der «Identifizierung mit der Methode».

Im Eitington Modell erfährt der Auszubildende eine spezifische Konfliktstruktur, zwischen Zweierbeziehung und Triangulierungsanforderungen sowie zwischen Abhängigkeit und Autonomie. Unabhängig vom Charakter der Beteiligten, gelten die Ausbildungsregeln genauso für Lehranalysanden wie für Lehranalytiker. Entscheidungen über Ausbildungsfortschritte folgen einem transparenten und häufig schwer errungenen Konsens an dem der jeweilige Lehranalytiker nicht beteiligt ist. Daraus folgende Konflikte zwischen allen Beteiligten sind unvermeidlich. Das gilt für das Bewerbungsverfahren, das Vorkolloquium, das Kolloquium und für die Zulassung als Lehranalytiker. Unabdingbar für die Transparenz von Entscheidungen und die Integrität der Arbeit des psychoanalytischen Paares ist allerdings die strikte Einhaltung eines «Non-Reporting-Systems», also die Einhaltung der «Gewaltenteilung» zwischen verstehenden und entscheidenden Instanzen.

Darüber hinaus stellt die Entwicklung in der Ausbildung hohe Anforderungen, die womöglich Einfluss darauf nehmen, dass partielle Begabungen – welche ja auch einen Abwehrcharakter haben können – ausgelebt und schnell weiter entwickelt werden. Erst die zeitaufwendige Integration vieler persönlicher Anteile, ermöglicht ein einigermaßen zufriedenes, zukünftiges psychoanalytisches und wissenschaftliches Arbeiten. Dieser Prozess kostet viel Zeit und es ist daher nicht verwunderlich, dass Lehranalysen häufig lange dauern. Das kollidiert nicht nur mit mangelnden finanziellen Ressourcen, sondern auch mit anderen Ausbildungs- und Qualifizierungswünschen Es scheint, als ob in modernen Biografien und Karrieren, unter den Bedingungen erheblich verlängerter Ausbildungsphasen, die notwendige Zeit für persönliche Entwicklung kaum zur Verfügung steht. Dies gilt im Besonderen für den Bereich der Universität, aber auch für strukturelle Konflikte mit den Wünschen und Anforderungen der «Generativität» bzw. der  Familiengründung, für die es ebenfalls keine gesellschaftlichen, sondern nur individuelle Antworten gibt.  Letztere Konflikte existieren dabei nicht nur für Frauen sondern genauso für Männer. Unser Ausbildungssystem kann auch für diese Probleme keine generellen Lösungen anbieten, aber wir können lernen flexiblere Lösungen zu erfinden.

Genau wie Heilanalysen können auch Lehranalysen scheitern. Aber eine scheiternde Lehranalyse hat zusätzlich negative Konsequenzen für Generationen von Patienten des ausgebildeten Analytikers. Insofern ist eine scheiternde Lehranalyse eine spezifisch nachhaltige Katastrophe. Vielleicht haben wir vernachlässigt, die besondere Bedeutung der «subjektiven Indikation» für Lehranalysen ernster zu nehmen.      

Die von einigen laut geäußerten Zweifel am Sinn und der Integrität der Lehranalyse stehen im Widerspruch zu Untersuchungsergebnissen, die zeigen dass Ausbildungskandidaten offensichtlich mit ihren Lehranalysen eher zufrieden sind und sie für einen wichtigen  Teil der Ausbildung halten. Stellt sich die Frage, von wem und wodurch sind diese Zweifel eigentlich entstanden? Welche Erfahrungen werden zu Grunde gelegt und welche Interessen verbergen sich dahinter? Eine ernsthafte historische Aufarbeitung in dieser Hinsicht steht meines Erachtens noch aus.

Eine wichtige Ursache für das Misstrauen könnte tatsächlich darin liegen, dass wir  lange vermieden haben, konsequent zu konzeptualisieren, dass eine Lehranalyse eine Lehranalyse und nicht eine Heilanalyse ist. Das bedeutet aber nicht, dass eine Lehranalyse keine heilende Funktion hat. Ganz im Gegenteil. Deshalb kann ich auch nicht, wie erst kürzlich wieder vermutet, annehmen, dass in der Lehranalyse eine «Paradoxie» erkennbar wäre. Die Annahme einer inhärenten «Paradoxie» setzt meines Erachtens die schon lange existierende Verwirrung fort und erbringt deshalb keine befriedigende Klärung. Die Theorie zur Lehranalyse gehört neu geschrieben. Sie sollte erheblich differenzierter formuliert sein und sie müsste in Übereinstimmung mit den Anforderungen und der Realität der tatsächlichen Praxis unserer Lehranalysen übereinstimmen. Das wären gute Voraussetzungen dafür, die Qualität der Lehranalysen weiter zu verbessern und wir könnten genauer bestimmen, welchen Anforderungen ein zukünftiger Lehranalytiker genügen sollte. Grundsätzlich kann jeder Analytiker, der unsere Ausbildung abgeschlossen hat den  genannten Herausforderungen entsprechen, falls er bereit ist, sich auf diese speziellen Aufgaben und Fragestellungen vorzubereiten. Dazu gehört neben einer substanziellen klinischen Erfahrung aber auch der Wunsch und die nachzuweisende Fähigkeit, beziehungs- und prozessrelevante  theoretische Konstruktionen in verschiedene Deutungsebenen transformieren zu können und damit konkurrierend am Institut Präsenz zu zeigen.      

In diesem Sinne plädiere ich für die Fortsetzung einer vertiefenden Diskussion.


Zusammenfassung

Thesenartig wird vorgetragen, dass normative Neuregelungen zur Lehranalyse bzw. zur Berufung von Lehranalytikern in unserem Ausbildungsmodell verfrüht erscheinen. Aus einer klinischen Perspektive wird argumentiert, dass dazu die tatsächliche Funktion der Lehranalyse noch nicht genügend konzeptualisiert und ihre Praxis nicht angemessen abgebildet ist. Es wird die These vertreten, dass die Lehranalyse das Ziel hat, ein inneres »psychoanalytisches Objekt« bzw. eine »psychoanalytische Position« zu entwickeln. Dies erscheint nur mit Hilfe von Selbsterfahrungselementen in einem kontinuierlichen hochfrequenten Prozess möglich. In diesem Sinne verdeutlicht sich ebenfalls, dass die Lehranalyse keinesfalls, wie bisher immer wieder formuliert, mit einer Heilanalyse gleichzusetzen ist, vielmehr unterscheiden sich Lehranalyse und Heilanalyse grundsätzlich. 

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