zuhören . nachdenken . deuten . schreiben

Die Entdeckungen der Psychoanalyse und der »Freud´sche Moment«

… „Wir können den Beginn der Psychoanalyse als den »Freud´schen Moment« beschreiben. Als Freud den psychoanalytischen Prozess entdeckte – die Methode des frei assoziierenden Analysanden und der gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Analytikers – hat er eine Objektbeziehung geschaffen, nach der, so meine Sicht, bereits seit Tausenden von Jahren gesucht worden war.

… Wir wissen, dass bereits 2500 Jahre v. Chr. Die Sumerer ihre Träume so ernst nahmen, dass sie nach Deutungen verlangten. Ich glaube, dass wir das Träumen als Trieb hinter einem phylogenetischen Bedürfnis nach dem Erzählen, dem Anhören und der Deutung eines Traumes betrachten können.

... Das Träumen selbst muss schon immer eine eindrucksvolle Erfahrung gewesen sein. Wir können annehmen,  dass Träume den Geist oft überwältigt haben, da dieser die Inhalte nicht denken konnte, auch wenn ein machtvoller religiöser Glaube half, der als Behälter für Ängste fungierte.

… Ich denke, man kann feststellen, dass es seit Tausenden von Jahren eine »Präkonzeption der Psychoanalyse« gegeben hat. »Wir Menschen« haben nach dem »Freud´schen Moment« gesucht. Der »Freud´sche Moment« ist eine Realisierung dieser Präkonzeption. Als Freud den Traum zum Eckpfeiler der Psychoanalyse machte, den Prozess um die an jemand anderen gerichtete Traumerzählung zentrierte und den anderen aufforderte, den manifesten Inhalt auf seine latenten Inhalte zurückzuführen, gelang die Freud´sche Technik zur existenziellen Realisierung dieser Präkonzeption…

Freud... hat damit einen Platz gefunden, um unser Traumleben zu nutzen. Wenn er zum Beispiel die Theorie des Ödipuskomplexes, des Kastrationskomplexes oder der Übertragung nicht entdeckt hätte, wäre die Entdeckung des Prozesses der Traumdeutung an sich revolutionär genug.

Die Psychoanalyse stellt eine tiefgreifende Veränderung unserer Fähigkeit zur menschlichen Verbundenheit dar. Sie entdeckt eine Beziehung, in der der individuelle Geist und der Charakter eines Selbst verwirklicht und dann durch eine Beziehung konzeptualisiert werden können.

... Das 20. Jahrhundert enthält eine sich ankündigende Drohung. Entweder verstehen wir uns selbst und die anderen, finden wir Wege, unsere Konflikte mit anderen zu denken und destruktive Prozesse zu analysieren, oder aber wir werden aufhören zu existieren. Ich denke, die Psychoanalyse erbringt überhaupt erst die Mittel, um über destruktive Prozesse nachzudenken und die Menschheit vor Selbstzerstörung zu retten. In diesem Sinne verstehe ich die Psychoanalyse als phylogenetische und evolutionäre, aus einer existenziellen Notwendigkeit geborene Antwort.“

Christopher Bollas (Athen, April 2006)

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