Einladung zur 23. Jahrestagung der EPP 2010 in London
Leidenschaft, Liebe und Sexualität in der Psychoanalyse
Das Thema der 23. Jahrestagung der EPF vom 25. - 28. März 2010 in London lautet: Leidenschaft, Liebe und Sexualität in der Psychoanalyse. Man könnte meinen, zu diesem Thema sei seit gut 100 Jahren alles gesagt und wir Psychoanalytiker könnten uns bedenkenlos neuen Themen zuwenden. Andererseits gibt es gewichtige Gründe genau daran Zweifel zu haben.
Die Arbeiten Sigmund Freuds, nicht zuletzt die „Drei Sexualtheorien" (1905), führten zu unglaublichen Veränderungen der Sichtweisen über seelische Konflikte und neurotische Erkrankungen, die sich in alle menschlichen Lebensverhältnisse hinein auswirkten. Die daraus erwachsenen therapeutischen Möglichkeiten und kulturellen Veränderungen, die in der Folge theoretisch und klinisch durchgearbeitet, verfeinert und erweitert wurden, fanden immer breitere Anwendungen.
Grob skizziert, folgte in einer zweiten Phase der Entwicklung psychoanalytischer Theorie der Methode, Behandlungstechnik und Kulturtheorie, eingeleitet durch die bahnbrechenden Arbeiten von Karl Abraham und Melanie Klein, die intensive, noch anhaltende und vorrangige Auseinandersetzung mit (selbst-) destruktiven menschlichen Ausdrucksformen (Todestrieb, Neid und narzisstische Wut).
Im Verlaufe dieser zweiten Phase ist die Beschäftigung mit den Sexual- und Lebenstrieben immer mehr in den Hintergrund getreten. Entsprechende Themen sind aus der theoretischen und der klinischen Diskussion beinahe verschwunden. Ohne einer empirischen Überprüfung vorzugreifen, könnte man behaupten, dass der Analyse, Darstellung und Konzeptualisierung sexuellen Begehrens kaum noch Beachtung geschenkt wird, obwohl kein Zweifel an seiner Bedeutung bestehen dürfte. Was ist passiert? Sind wir wirklich in einer Zeit angekommen, in der der Umgang mit Liebe und Sexualität konfliktfrei von Elternhaus und Gesellschaft begleitet wird? Nur ein kurzer Blick in die Medien scheint diese Annahme zu bestätigen. Aber, sind die sexuellen Tabus wirklich gefallen? Wird wirklich alles angstfrei gezeigt und besprochen? Ein merkwürdiger Widerspruch zur intimen Natur zwischenmenschlicher Nähe! Es liegt vielmehr nahe zu vermuten, dass alte Formen von Verdrängung und Verleugnung im neuem Kleid scheinbarer Konfliktfreiheit, maniformer Geschäftigkeit bzw. in Form eines Lebensstils von ´easy going´ und ´coolness´ unbemerkt Einzug gehalten haben!
Neuere klinische Darstellungen, Fallberichte und klinische Diskussionen kreisen implizit oder explizit um ein weiteres Phänomen, nämlich den überraschten Analytiker. Mit ´normalen´ Erwartungen begonnene hochfrequente Behandlungen führen in Sackgassen oder Ratlosigkeit, weil Patienten direkt oder indirekt vermitteln, dass sie sich nicht als ´Subjekt´, als kohärentes Gegenüber, erleben, sondern unbewußt ausschließlich darauf aus waren und sind, den vermeintlichen oder tatsächlichen Anforderungen oder Erwartungen ihres Analytikers zu entsprechen. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie sich selber nicht als diejenigen erleben die ´wirklich´ gemeint sind. Analysanden oder/und Analytiker müssen schließlich feststellen, dass das Ziel von Interventionen und Deutungen, nämlich ein entwickeltes Ich-Selbst nur bruchstückhaft oder gar nur zum Schein existiert. Ich spreche von Analysanden, die über kurz oder lang zu verstehen geben, dass sie keine Idee darüber haben, was sie selber erleben, sehnen und wünschen. Die Überraschung besteht darin, dass dem Analytiker nicht eine ganze Person gegenübertritt, sondern eine Person scheinbar ohne ein Ich-Selbst. Eine überaus irritierende Einsicht, die das Wechselspiel zwischen freier Assoziation des Patienten und gleich schwebender Introspektionsbereitschaft des Analytikers ad absurdum führt. Anders formuliert, Patienten können kaum noch alleine sein in der Gegenwart ihres Analytikers (vgl. D.W.Winnicott, 1958. The Capacity to be Alone).
Gesellschaftlich wird dieses Phänomen gespiegelt durch illusionäre Überzeugungen von der Freiheit der Meinungsbildung bzw. Meinungsäußerung. Aber die Ansichten des ´Mainstream´ werden unbemerkt zunehmend durch die Meinungsführerschaft der Medien und des ´World Wide Web´ beeinflusst. Dem Individum droht die Entwicklung seines Selbst enteignet zu werden, in einer Welt, die sich als immer komplexer und uneinheitlicher erweist, wird die Fähigkeit Gefühle und Affekte in subjektiven triangulären Strukturen zu gestalten, immer geringer.
Genauso wie zu vermuten ist, dass es zur Regulierung und eigentlichen Befreiung des triebhaften Geschehens einer Kulturarbeit bedarf (Sigmund Freud), genauso braucht es ein eigentliches Bewusstwerden sowie einen Rekurs auf humane, triebhafte Bedürfnisse, um sich und das eigene Selbst zu spüren. Letzteres benötigt für seine Entwicklung und Ausgestaltung die Wahrnehmung sexueller, libidinöser und damit körperlicher Bedürfnisse. Es sind diese Bedürfnisse die uns leiten, die uns empfinden lassen und die uns anzeigen, dass wir existieren.
Steht also die Psychoanalyse und ihre Methode im Widerspruch zum Zeitgeist? Bereits 1982 hat Wolfgang Loch darauf hingewiesen, Max Horkheimer zitierend, dass es ernsthafte Zweifel gäbe, ob unsere gesellschaftlichen Bedingungen auch weiterhin ermöglichen, dass wir auch zukünftig dem Individuum und damit der Psychoanalyse die notwendige Zeit zur Verfügung stellen können, die notwendig ist, um das Selbst in seiner individuellen Gestalt zur Entfaltung kommen, sich erkennen, in Besitz nehmen und verwirklichen zu lassen:
Gerade die Entwicklung des Subjekts in einer durch die Medien uniformierten Gesellschaft, die es bevorzugt, sich pluralistisch zu nennen und dabei das Subjekt in seiner Integrität und Freiheit zunehmend ungewollt oder gewollt beschneidet, stellt uns vor das Problem, ob für die Bewahrung der individuellen Entwicklungsmöglichkeiten nicht die Beschäftigung mit der Sexualität, der Liebe und den menschlichen Leidenschaften zu unseren vornehmsten und dringlichsten Aufgaben gehört.
Im Namen des Rates (Council), des Vorstandes (Executive) der EPF, dem Vorsitzenden der Programm Kommissionen (Ronny Jaffè), den Vorsitzenden der gastgebenden Britischen Psychoanalytischen Gesellschaften (Sharon Raeburn/BPA und Michael Briearly/BPAS) sowie der Vorsitzenden des lokalen Organisationskomitees (Jan Harvie-Clark/BPA) lade ich sie herzlich nach London ein.
Es wird in London, wie in den zurückliegenden Jahren auch, eine Vielzahl von kleineren hoch interessanten Panels und ´Individual Papers´ zum Tagungsthema geben, Veranstaltungen in kleinen klinischen Gruppen der Working Parties (z.T. an den Tagen vor Kongressbeginn), ein neues Angebot für klinische Kleingruppenarbeit (Deutungsoptionen), spezielle Angebote von Adhoc - Groups, ´Film und Psychoanalyse´, verschieden Foren, spezielle Panels „On Research", „Meet the Society" (The Australian Psychoanalytical Society) und „Meet the Author" (Edna O´Shaughnessy und Irma Brennman Pick).
Wir hoffen, dass auch die Londoner Tagung ein Treffpunkt des Austausches zwischen Mitgliedern und Kandidaten, des Respekts und der Integration unserer vielfältigen europäischen psychoanalytischen Landschaften wird, gebündelt und zusammengehalten durch die Plenarveranstaltungen mit den Hauptrednern: Anna Ferrutti (Mailand), Jean Andrè (Paris), Gregorio Kohon (London), Moisés Lemlij (Sao Paulo) und den Diskutanten J.M. Quinodoz(Genf), Cathy Bronstein(London) und Ilka Quindeau (Frankfurt).
Auf Bitte der IPA und ihres neuen Präsidenten Charles Hanly nehmen wir die Londoner Tagung gleichzeitig zum Anlass, das 100 jährige Jubiläum der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in einer gesonderten Veranstaltung, im Rahmen der Tagung, zu feiern. Zu dieser Sonderveranstaltung „Meet the IPA" (Samstag, den 27. März von 14:30 bis 17:30) sind nicht nur die Tagungsteilnehmer, Mitglieder und Kandidaten unserer europäischen Gesellschaften, Gäste aus den Regionen Nord- und Südamerika besonders herzlich eingeladen, sondern auch interessierte Wissenschaftler, Praktiker und Studenten anderer bzw. angrenzender Fachrichtungen sowie eine interessierte Öffentlichkeit und Presse.
Sie alle sind herzlich nach London eingeladen!
Peter Wegner
Präsident der EPF