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Einladung zur 25. Jahrestagung der EPF 2012 in Paris

Das psychoanalytische Erstinterview und der Behandlungsprozess

Die 25. Jahrestagung der EPF wird auf Einladung der drei französischen Gesellschaften Société Psychanalytique de Paris (SPP), L’Association psychanalytique de France (APF)und der Société Psychanalytique de Recherche et de Formation (SPRF) vom 29. März bis zum 1. April 2012 in Paris stattfinden.  

Das Tagungsthema widmet sich dem Beginn unserer psychoanalytischen Arbeit, dem Erstinterview und dem nachfolgenden Behandlungsprozess.  

Freud selber hatte keine eigens ausformulierte Theorie zum psychoanalytischen Erstinterview, seine wenigen Äußerungen zum Thema bleiben aphorismenhaft. In den Behandlungstechnischen Schriften (1913) schreibt er: „Wer das edle Schachspiel aus Büchern erlernen will, der wird bald erfahren, dass nur die Eröffnungen und Endspiele eine erschöpfende systematische Darstellung gestatten, während die unübersehbare Mannigfaltigkeit der nach der Eröffnung beginnenden Spiele sich einer solchen versagt.“ In seiner Praxis hat er oft mit einer so genannten „Probeanalyse“ begonnen.   

Sich dem Thema Erstinterview zuzuwenden hat viele gute Gründe. In kaum einem anderen Bereich sind die Unterschiede in Theorie und Praxis verschiedener psychoanalytischer Schulen so groß wie zu diesem Punkt. Dabei ist es doch eine Frage von großem Interesse, warum und unter welchen Bedingungen psychoanalytische Behandlungen überhaupt zustande kommen.  

Manche Analytiker kennen ein Erstinterview im engeren Sinne gar nicht und beginnen mit dem Angebot auf der Liege Platz zu nehmen, andere bevorzugen ein Setting mit mehreren Interviews. In unterschiedlichen Institutionen und in Ausbildungsambulanzen können höchst unterschiedlich standardisierte Abläufe von telefonischen Vorgesprächen, strukturierten Interviews, verschiedener Testdiagnostik und Indikationskonferenzen bestehen.  

Außerdem werden besonders Erstinterviews durch externe Einflüsse stark kovariiert, z.B. in Ländern, in denen die Übernahme der Behandlungskosten durch das jeweilige Gesundheitssystem, bestimmte Anforderungen an die Datenerhebung, Diagnostik und Indikationsstellung stellen. Das gilt auch für differenzielle Fragestellungen der Indikation für Psychoanalyse, die wiederum abhängig von der vorherrschenden Theorie und Praxis der jeweiligen Gesellschaft oder eines Landes sind. Natürlich schlagen sich diese Unterschiede auch in der entsprechenden Präsenz des Themas im jeweiligen Ausbildungssystem nieder. In manchen Gesellschaften gibt es keine einzige Ausbildungsveranstaltung zum Thema Erstinterviewtechnik, in anderen gehören entsprechende Veranstaltungen kontinuierlich zum ersten Ausbildungsabschnitt. Tendenziell kann man aber davon ausgehen, dass sich über kurz oder lang die unterschiedlichen Bedingungen durch gesundheitspolitische Entscheidungen europaweit angleichen werden.     

Ganz besonders akut ist die Frage der Interviewtechnik mancher Orts durch das Problem geworden, Patienten zu finden die sich überhaupt noch einer Psychoanalyse unterziehen wollen. Viele Ausbildungskandidaten sind damit konfrontiert. In einigen Gesellschaften praktiziert eine grössere Zahl von Psychoanalytikern nur noch Psychotherapien, weil die Patienten eine hochfrequente Behandlung scheinbar nicht mehr als zeitgemäß, als zu aufwendig oder als zu teuer empfinden.  

Es sind große Anstrengungen unternommen worden unsere  Interviewtechnik zu verbessern, einschließlich differenzieller Untersuchungen über die Angemessenheit der jeweiligen Indikationsstellung. Auf der anderen Seite sind ethische Implikationen, nämlich ob und wann es vertretbar ist, hochfrequente Behandlungen zu beginnen und sie lange laufen zu lassen, in den Vordergrund gerückt worden. Die ´tendenzlose und unbegrenzte´ Psychoanalyse wird von manchen gar als unverantwortlich kritisiert.      

Man kann vermuten, dass die erste Begegnung zwischen Patient und Psychoanalytiker viele Fragestellungen kondensiert enthält, die die Psychoanalyse als Ganzes betreffen.  Das Übersehen wesentlicher bewusster und unbewusster Mitteilungen des Patienten, eine Fehleinschätzungen der Schwere einer Erkrankung, eine unerkannte Ablehnung des Patienten durch den Analytiker, ein bewusstes und unbewusstes Nicht-Passen zwischen Analytiker und Patient und sonstige Fehlindikationen können schwerwiegende Folgen haben, bis hin zum Scheitern der gesamten Behandlung. Alle nur denkbaren Missverständnisse und Abwehrkonstellationen können die Wahrnehmung der ersten Begegnung auf beiden Seiten verzerren und weitreichende Folgen nach sich ziehen. Hält man sich diese, auf wenige Minuten oder Stunden verdichtete, einzigartige und nicht wiederholbare  Kompliziertheit vor Augen, so scheint es ein Wunder, dass eine Psychoanalyse überhaupt zustande kommt. Und wenn man sich nicht darüber wundert, hat man vielleicht schon etwas übersehen?

Wir werden auch über häufig unbeachtete Phänomene im Zusammenhang mit dem Erstinterview nachdenken: der tatsächlich erste Kontakt am Telefon, via Brief oder Email (die so genannten "Vorfeldphänomene"), die "szenischen Informationen" und nonverbale Kommunikationsformen, Initialträume im Erstinterview, die "Anfangsszene" und die Gegenübertragung im Erstinterview. Jeder neue Patient stellt eine besondere Herausforderung dar. Können wir seine Mitteilungen übersetzen, unbewusste Wünsche und Ängste formulieren? Wie gehen wir mit seinen und unseren Fragen um, inwieweit belassen wir es bei einer diagnostischen Haltung, oder übernehmen wir bereits im Erstinterview eine therapeutische Funktion? Und schließlich, wer entscheidet über die Art des weiteren Prozesses und übernimmt damit Verantwortung für die psychoanalytische Kur?     

Neben den Hauptvorträgen von (Leon Klaimberg, London; Jean-Louis Baldacci, Paris; Peter Wegner, Tübingen und Christopher Bollas, North Dacota) in den vormittäglichen Plenarveranstaltungen, wird es eine Vielzahl von Panels, Einzelvorträgen und Diskussionsgruppen geben, die sich dem Thema von verschiedenen Seiten her annähern. Im Besonderen möchte ich auf das Panel hinweisen, das von der ´Working Party on Initiating Psychoanalysis´ (WPIP) vorbereitet wird. Die WPIP der EPF arbeitet seit 2003 systematisch über das Thema der Initiierung von Psychoanalysen. Der von ihr herausgegebene Reader (Initiating Psychoanalysis. Herausgegeben von Bernard Reith et.al., Routledge, 2011) versammelt wesentliche Arbeiten zum Thema der letzten Jahrzehnte und stellt deshalb eine gute Vorbereitungslektüre für unsere Tagung in Paris dar. Das Panel selber wird die vorläufigen Ergebnisse der Arbeit der Working Party vorstellen, und wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse dieser international zusammen gesetzten Arbeitsgruppe.

Außerdem wird sich in der Reihe ´Meeting the Society´, die ´Deutsche Psychoanalytische Vereinigung´ (DPV) vorstellen und wir hoffen, dass einige von Ihnen klinisches Material und theoretische Überlegungen zum Thema Erstinterview, als Einzelvorträge einreichen werden. Wie immer sind alle Kandidaten herzlich eingeladen an der Tagung teilzunehmen, im Besonderen an den speziellen Veranstaltungen der IPSO.  Wir hoffen, dass auch die Pariser Tagung ein Treffpunkt des Austausches zwischen Mitgliedern und Kandidaten, des Respekts und der Integration unserer vielfältigen europäischen psychoanalytischen Landschaften wird.  

Unser besonderer Dank gilt der großartigen Vorbereitungsarbeit der Programmkommission (Adela Abella, Jan Abram, Sanja Jakovliev, Eran Rolnik, Ellen Sparer, Claudia Thußbas) und des lokalen Organisationskomitees (Julien Ben Simon, Claire-Marine Francois-Poncet, Joelle Picard, Christine Voyenne and Brigitte Eoche Duval).  Der Vorstand der EPF und die Präsidenten der europäischen Gesellschaften laden Sie alle herzlich nach Paris ein.   

 

Peter Wegner, Präsident (EPF)

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